DIE TAUSCHBÖRSE

Ansichten eines Clowns

Verlag:
dtv
Jahr:
1967
Seitenzahl:
253
ISBN:
9783423004008
Medium:
Taschenbuch
Sprache:
Deutsch
Anbieter:
(495)

Artikel angeboten seit:
23.12.2007
Tickets:
1
Zustandsbeschreibung
Dem Alter entsprechend guter Zustand!
Artikelbeschreibung
Der Spiegel
Warum es am Rhein nicht so schön ist
Er habe doch nur eine ganz harmlose Liebesgeschichte erzählt, sagte Heinrich Böll 1982 in einem Radio Interview, ich verstehe die Aufregung bis heute nicht. Tatsächlich wirbelte sein Roman Ansichten eines Clowns am 10.Mai 1963, dem Tag seines Erscheinens, durch die Feuilletons der Bundesrepublik Deutschland und lieferte wochenlang Stoff für Debatten. Böll, der schon in früheren Büchern und Essays Engstirnigkeit und Doppelmoral der katholischen Kirche beschrieben hatte, ließ in seinem neuen Roman den Unternehmersohn und Clown Hans Schnier am vermufften rheinischen Katholizismus der fünfziger Jahre scheitern.

Es war ein von seinem Kölner Verleger Joseph Caspar Witsch klug konzipierter Skandal. Das Land war schon aufgewühlt durch das Unbehagen am Klerikalismus (Deutsche Volkszeitung) eine Diskussion, die Rolf Hochhuth mit der Papst Abrechnung Der Stellvertreter und Karlheinz Deschner mit seiner kritischen Kirchengeschichte Und abermals krähte der Hahn ausgelöst hatten. In dieser angespannten Stimmungslage veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung sechs Wochen lang Ansichten eines Clowns als Vorabdruck, was zu einem Protestbrief der Katholischen Aktion führte.

Deshalb besprachen rund 50 Rezensenten, denen Witsch Leseexemplare zugeschickt hatte, Bölls Roman sofort nach Ablauf der Sperrfrist. Dies war der Startschuss für einen monatelangen Debattenmarathon. Nun erschienen in den Feuilletons die abweichenden Meinungen, die wiederum von den nächsten Rezensenten diskutiert wurden.

Der Zeit gelang es damals, das Wettrennen um die Urteile der prominentesten Journalisten zu gewinnen: Rudolf Augstein, Marcel ReichRanicki, Rudolf Walter Leonhardt, Ivan Nagel, Walter Widmer, Werner Ross, Reinhard Baumgart und Joachim Kaiser schrieben lange Kritiken in dem Blatt und konnten sich auf nichts einigen. Enthielt der Roman zu viel gute Gesinnung und zu wenig Leben? War die Bundesrepublik nicht schon längst viel liberaler, als der Roman sie beschrieb? Handelte es sich bei Hans Schnier wirklich um einen 27jährigen Clown, dessen Liebesbeziehung an der Rechthaberei der Institution katholische Kirche und an der konservativ muffigen AdenauerÄra zerbricht? Oder verkündete der 45jährige Autor mit Hilfe seines literarischen Alter Ego nur seine bekannten politischen Ansichten?


Die Protagonisten seien keine Gestalten, sondern aufrecht gehende Namen, fand ReichRanicki. Kaiser hielt dem entgegen, die seltsame Gestalt des Clowns Hans Schnier vermag mich zu rühren und zu faszinieren wie bisher noch keine des Böllschen Kosmos.

Böll hatte die Geschichte tatsächlich angelegt als privates Scheitern, nach dem Vorbild des griechischen Mythos vom Labyrinth: Sein Protagonist sollte 276 Seiten lang gegen Wände rennen. Der Roman erstreckt sich über drei Stunden, in denen Schnier betrunken, knieverletzt, verarmt, verbittert und vereinsamt in seiner Bonner Wohnung sitzt und bei Verwandten und Bekannten anruft, um sie um emotionale und finanzielle Unterstützung zu bitten, vergeblich allerdings.

Seine Leidensgeschichte wird in Rückblicken erzählt. Der Atheist Schnier stammt aus der evangelischen Oberschicht, hat sich aber mit seinen Eltern überworfen. Er verliebte sich in die katholische Marie, die aus einfachen Verhältnissen stammt, denn sie ist der Gegenentwurf zu Schniers Mutter: lieb, warm, aufrichtig. Einige Jahre lang waren sie glücklich, während sie gemeinsam von Bühne zu Bühne reisten. Schnier war kein Star, aber als Clown gefragt.

Die beiden träumten von gemeinsamen Kindern, mit jeder Fehlgeburt mehr. Marie wurde mit der sich wiederholenden Enttäuschung nicht fertig und verschob ihre Wut in die absurde Forderung, Schnier solle schriftlich zustimmen, die gemeinsamen Kinder katholisch zu erziehen. Als er sich weigerte, sich einer Institution zu unterwerfen, verließ sie ihn und heiratete einen Funktionär einer katholischen Laienorganisation. Für Schnier begann damit der Abstieg, psychisch wie beruflich.
In seinem Nachwort zu Ansichten eines Clowns, das in der Ausgabe von 1985 erschien, nannte Böll, inzwischen Nobelpreisträger, das Buch einen historischen Roman, der nur noch als exemplarischer Kampf zwischen Individuum und Institution verstanden werden könne. Wie wäre es also, wenn man Hans Schnier zum Christen machen würde, egal ob katholisch oder evangelisch, und Marie zur Muslimin? Oder wenn man den Konflikt zwischen den Klassen ansiedeln würde, zwischen Unterschicht und Oberschicht? Oder zwischen Existenzformen, Angestellten Dasein gegen Prekariat?

Die Transformation würde wahrscheinlich funktionieren. Nicht nur, weil der Grundkonflikt zeitlos ist, sondern auch, weil die Liebesbeziehung zwischen Hans und Marie letztlich an dem scheitert, woran die meisten Paare zerbrechen: am Alltag.
Schlagworte
Ansichten eines Clowns; Heinrich Böll

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