Autor:
Verlag:
List Tb.
Jahr:
2002
Seitenzahl:
367
ISBN:
9783548601533
Medium:
Taschenbuch
Sprache:
Deutsch
Zustandsbeschreibung
wie neu - Ähnliches im Regal von LACKY
Artikelbeschreibung
Als Gertraud Weisker Anfang zwanzig war, hegte sie Fluchtgedanken. Im Sommer 1944 kehrte sie Jena, dem heimatlichen Provinznest im Saaletal, den Rücken. Mit Gretchenfrisur und Heisenbergs Quantentheorie im Koffer brach die Physikstudentin zu den damals angesagten Zielen der Sehnsucht auf: München, Berchtesgaden, Bad Reichenhall magische Orte einer vermeintlich besseren Wirklichkeit. Bis dorthin würden die regimekritischen Mahnungen des Vaters, eines flammenden Antifaschisten, nicht nachhallen. Dort lockte das Tor zum Süden, der letzte Paradieszipfel. Denn jenseits von Bombenhagel und Trümmerfeldern hatten Watzmannpracht und Alpenglühen, grüne Bergseen und die Sommersitze der braunen Haute Volée überdauert.
So genoss Gertraud Weisker ein flüchtiges Glück im Reichswinkel, zumal sie ein paar Monate lang an der Seite ihrer Lieblingscousine Eva Braun verbringen konnte. Während nämlich Adolf Hitler vom ostpreussischen Hauptquartier aus das Massensterben überwachte, forderte seine Mätresse zum Zeitvertreib die Gesellschaft der jungen Verwandten an. Da wanderten, schwammen, tranken und kicherten die Cousinen vom Kriegstreiben unbehelligt und fürsorglich belagert von des Führers Küchenpersonal. «Wir waren einfach zwei junge Frauen, die, beschützt und bewacht von SS-Leuten, sich ihr Leben so schön wie möglich gemacht haben», sagt die 77jährige Frau Weisker 56 Jahre später immer noch ein wenig unbedarft, doch frei genug, offen über ihren Aufenthalt auf Hitlers Bergfestung zu sprechen.
Mehr als 50 Jahre zählte dieses Thema zu den geheimen Verschlusssachen. Auf Rat des Ehemannes hüllte sich die Cousine Eva Brauns in Schweigen über ihre prekären verwandtschaftlichen Beziehungen. Die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung trieb sie um und wich erst nach dem Tod ihres Mannes vor ein paar Jahren. Damals trat der Zaungast von einst, der zwar von Hitlers Tellern gegessen, nie aber den Hausherrn zu Gesicht bekommen hatte, eine späte Gedächtnisreise an. Gertraud Weisker schrieb auf, was die Erinnerung noch freigab. Ihre bruchstückhaften Aufzeichnungen schickte sie der Schriftstellerin Sibylle Knauss. Immerhin hatte die Professorin für Text und Dramaturgie an der Filmakademie Baden-Württemberg in ihrem literarischen Leitfaden «Die Schule des Erzählens» (1995) der Tabuisierung vertrackter Stoffe für die literarische Umsetzung eine Absage erteilt: «Darum gibt es für uns nichts, was zu heikel ist, zu grausam, zu privat, zu verstiegen, zu amoralisch.» Nur eine Ausnahme liess Knauss damals gelten. Widerwärtig sei ihr zum Beispiel die Vorstellung, das Leben der Eva Braun als Roman zu verarbeiten.
«Es gibt nichts Gutes im Falschen», schreibt Sibylle Knauss, verzichtet aber nicht darauf, eine getunte Biographie der Gertraud Weisker mit Tendenz zur Heroisierung vorzulegen. Wohl wirken die Passagen des Textes, in denen Marlenes psychologische Entwicklung von der Landpomeranze zur halbwegs skrupulösen Erwachsenen stattfindet, dramaturgisch stimmig. Wieder bewährt sich die Autorin als «Wünschelrutengängerin der weiblichen Seele», als die sie in den früheren Romanen «Ach Elise oder Lieben ist ein einsames Geschäft» (1981), «Charlotte Corday» (1988) oder «Ungebetene Gäste» (1991) überzeugte. Und doch wird der Leser das Gefühl nicht los, dass Knauss die Zweifel angesichts ihres heiklen Themas durch Überhöhung der Hauptperson vertreiben will eine Form der Personenklitterung, die das Genre wohl zulässt. Denn: «Erzählen ist immer Fälschung der Tatsächlichkeit», sagt die Verfasserin in der «Schule des Erzählens». Dass dieses Vorgehen jedoch im Fall von Gertraud alias Marlene zur Geschichtsklitterung beiträgt, hat sie bedauerlicherweise ausgeblendet.
Während sich die Figur der Marlene als lernfähig erweist und intellektuell in der Lage ist, das Ausmass von Tod und Zerstörung zu begreifen, bleibt Knauss bei Eva Braun näher an der historisch verbürgten Realität. «Man kann ja nicht normal sein, wenn man Hitler liebt», merkte sie bei der Buchvorstellung in Berlin an. Dementsprechend geistert die frühere Assistentin von Hitlers Leibphotographen Hoffmann als «irrlichternde Unruhe» durchs Gelände: hübsch, sportlich und gefallsüchtig, doch gleichzeitig voller Angst und Todessehnsucht. «Als Selbstmörderin war sie keine Dilettantin mehr», denkt Marlene und mutmasst weiter: «Die Selbstauslöschung! Und ich bin sicher, dass sie am Ende Hitlers Lehrmeisterin darin war. Dass sie ihm mit der ihr eigenen Geflissenheit und Bereitschaft, zu Willen zu sein, gezeigt hat, wie man es macht.»
So genoss Gertraud Weisker ein flüchtiges Glück im Reichswinkel, zumal sie ein paar Monate lang an der Seite ihrer Lieblingscousine Eva Braun verbringen konnte. Während nämlich Adolf Hitler vom ostpreussischen Hauptquartier aus das Massensterben überwachte, forderte seine Mätresse zum Zeitvertreib die Gesellschaft der jungen Verwandten an. Da wanderten, schwammen, tranken und kicherten die Cousinen vom Kriegstreiben unbehelligt und fürsorglich belagert von des Führers Küchenpersonal. «Wir waren einfach zwei junge Frauen, die, beschützt und bewacht von SS-Leuten, sich ihr Leben so schön wie möglich gemacht haben», sagt die 77jährige Frau Weisker 56 Jahre später immer noch ein wenig unbedarft, doch frei genug, offen über ihren Aufenthalt auf Hitlers Bergfestung zu sprechen.
Mehr als 50 Jahre zählte dieses Thema zu den geheimen Verschlusssachen. Auf Rat des Ehemannes hüllte sich die Cousine Eva Brauns in Schweigen über ihre prekären verwandtschaftlichen Beziehungen. Die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung trieb sie um und wich erst nach dem Tod ihres Mannes vor ein paar Jahren. Damals trat der Zaungast von einst, der zwar von Hitlers Tellern gegessen, nie aber den Hausherrn zu Gesicht bekommen hatte, eine späte Gedächtnisreise an. Gertraud Weisker schrieb auf, was die Erinnerung noch freigab. Ihre bruchstückhaften Aufzeichnungen schickte sie der Schriftstellerin Sibylle Knauss. Immerhin hatte die Professorin für Text und Dramaturgie an der Filmakademie Baden-Württemberg in ihrem literarischen Leitfaden «Die Schule des Erzählens» (1995) der Tabuisierung vertrackter Stoffe für die literarische Umsetzung eine Absage erteilt: «Darum gibt es für uns nichts, was zu heikel ist, zu grausam, zu privat, zu verstiegen, zu amoralisch.» Nur eine Ausnahme liess Knauss damals gelten. Widerwärtig sei ihr zum Beispiel die Vorstellung, das Leben der Eva Braun als Roman zu verarbeiten.
«Es gibt nichts Gutes im Falschen», schreibt Sibylle Knauss, verzichtet aber nicht darauf, eine getunte Biographie der Gertraud Weisker mit Tendenz zur Heroisierung vorzulegen. Wohl wirken die Passagen des Textes, in denen Marlenes psychologische Entwicklung von der Landpomeranze zur halbwegs skrupulösen Erwachsenen stattfindet, dramaturgisch stimmig. Wieder bewährt sich die Autorin als «Wünschelrutengängerin der weiblichen Seele», als die sie in den früheren Romanen «Ach Elise oder Lieben ist ein einsames Geschäft» (1981), «Charlotte Corday» (1988) oder «Ungebetene Gäste» (1991) überzeugte. Und doch wird der Leser das Gefühl nicht los, dass Knauss die Zweifel angesichts ihres heiklen Themas durch Überhöhung der Hauptperson vertreiben will eine Form der Personenklitterung, die das Genre wohl zulässt. Denn: «Erzählen ist immer Fälschung der Tatsächlichkeit», sagt die Verfasserin in der «Schule des Erzählens». Dass dieses Vorgehen jedoch im Fall von Gertraud alias Marlene zur Geschichtsklitterung beiträgt, hat sie bedauerlicherweise ausgeblendet.
Während sich die Figur der Marlene als lernfähig erweist und intellektuell in der Lage ist, das Ausmass von Tod und Zerstörung zu begreifen, bleibt Knauss bei Eva Braun näher an der historisch verbürgten Realität. «Man kann ja nicht normal sein, wenn man Hitler liebt», merkte sie bei der Buchvorstellung in Berlin an. Dementsprechend geistert die frühere Assistentin von Hitlers Leibphotographen Hoffmann als «irrlichternde Unruhe» durchs Gelände: hübsch, sportlich und gefallsüchtig, doch gleichzeitig voller Angst und Todessehnsucht. «Als Selbstmörderin war sie keine Dilettantin mehr», denkt Marlene und mutmasst weiter: «Die Selbstauslöschung! Und ich bin sicher, dass sie am Ende Hitlers Lehrmeisterin darin war. Dass sie ihm mit der ihr eigenen Geflissenheit und Bereitschaft, zu Willen zu sein, gezeigt hat, wie man es macht.»
Schlagworte
Hitler Nationalsozialismus
Kategorie