dtv Taschenbücher, Bd.10, Ernst und heiter

guter Zustand

Eugen Roth wurde 1895 in München geboren. Nachdem er Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte studiert hatte, arbeitete er zunächst als Lokalredakteur bei den Münchner Neuesten Nachrichten, bevor er sich 1933 als freier Schriftsteller niederließ. Sein umfangreiches Lebenswerk umfasst Erzählungen, Gedichte und die heiteren Verssammlungen, die ihn schon zu Lebzeiten zu einem Klassiker des Humors werden ließen. 1976 starb Eugen Roth in München.

Auszug
Ein Mensch, geschniegelt und gebügelt,
Geht durch die Stadt, vom Wunsch beflügelt,
Daß er, als angesehner Mann,
Auch angesehn wird, dann und wann.
Jedoch der Gang bleibt ungesegnet:
Dem Menschen ist kein Mensch begegnet.
Geflickt...zerrauft, den Kragen nackt
Mit einem Rucksack wüst bepackt,
Den Mund mit Schwarzbeermus verschmiert
Und, selbstverständlich, schlecht rasiert,
Hofft unser Mensch, nach ein paar Tagen,
Sich ungesehen durchzuschlagen.
Jedoch vergeblich ist dies Hoffen:
Was treffbar ist, wird angetroffen!
Ein General, ein Präsident,
Dem Menschen in die Arme rennt,
Die Jungfrau, die er still verehrt,
Errötend seine Spuren quert.
Zuletzt - der liebe Gott verschon ihn!
Kommt, mit dem Hörrohr, die Baronin:
Und jedermann bleibt stehn und schaut,
Warum der Lümmel schreit so laut.
Der Mensch, schon im Verfolgungswahn,
Schlüpft rasch in eine Straßenbahn
Um sich, samt seinen heutigen Mängeln,
Dem Blick Bekannter zu entschlängeln.
Hier, wo er sich geborgen meint,
Steht stumm sein alter Jugendfeind.
Sein Auge fragt, als wollt es morden:
»Na, Mensch, was ist aus dir geworden!?«

k.A.